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un muss man sich vergegenwärtigen, dass jedes Dorf in Bali mindestens drei Tempel hat: Den Gründertempel „Pura Puseh“, den zentralen
Dorftempel „ Pura Desa“ und den Totentempel „Pura Dalem“. Also stehen alle sieben Monate mindestens drei Tempelfeste auf dem Programm der Dorfgemeinschaft, wenn nicht noch zusätzliche
Feste für weitere Tempel einzelner Nachbarschaften oder Wassergenossenschaften hinzukommen. Hierbei sind weitere Anlässe zu großen Familienfesten noch gar nicht mitgerechnet. Niemand weiß genau, wie
viel Tempel es insgesamt in Bali gibt, nach vorsichtigen Schätzungen dürften es aber zwischen zehn- und zwanzigtausend sein. In jedes Ritualjahr von 210 Tagen fallen damit allein mindestens
zehntausend Tempelfeste, d.h. pro Tag wenigstens fünfzig. Kein Wunder, dass der Festkalender der Balinesen von Feierlichkeiten geradezu
überquillt. Dabei stellen die Tempelfeste nur einen Teil des balinesischen Festreigens dar. Feste und religiöse Riten begleiten die Menschen hier durch alle Lebensphasen von der Geburt bis zum Tode und über den Tod hinaus. Sie sind tief in der spirituellen und mystischen
Vorstellungswelt des Bali-Hinduismus verwurzelt.
ach dem Glauben aller Hindus ist der Körper nur die vergängliche Hülle einer unsterblichen
Seele. Für das Wohlergehen dieser Seele im gegenwärtigen Leben und bei der nächsten Wiedergeburt ist der Mensch mit seinem Tun und Lassen selbst verantwortlich. Hierbei sollen
die vielfältigen Riten und Lebensregeln Stütze und Hilfestellung sein, um das angestrebte Ziel einer für ein besseres Leben befreiten Seele zu erreichen. Von besonderer Bedeutung sind
hierbei immer wieder Reinigungszeremonien, bis schließlich auch der verstorbene Körper in der radikalsten aller Reinigungen durch Feuer und Wasser vollständig eliminiert wird, um die Seele
von allen materiellen Bindungen zu lösen.
leichzeitig sind die Rituale und Festzeremonien Grundlage des Zusammenhalts von Familie
und Dorfgemeinschaft. Religiöse Regeln wirken mit beim Bau eines Dorfes, ordnen das Familienleben und sind ethische Richtschnur für das Zusammenleben der gesamten Gemeinschaft. Festlichkeiten, Volksvergnügungen und
Versammlung werden deshalb stets von einer Tempelzeremonie eingeleitet. Nicht zuletzt sollen sie
auch dem Einzelnen helfen, seinen Platz im Kosmos der Insel und der ihn umgebenden Natur zu finden. In der Natur hat jedes Ding oder Wesen seinen Zweck und
seinen Platz. Alles Heilige ist hoch wie die Berge, wo die Götter und guten Geister auf dem Vulkan Gunung Agung ihren Sitz haben. Alles Unheilige und Drohende
kommt von den Kräften der Tiefe, vom Meer mit seinen feindlichen Geistern und Dämonen. Der Mensch lebt zwischen Bergen und Meer und ist permanent von dieser Dualität in der Natur umgeben. Das Streben der
Balinesen ist deshalb ständig darauf gerichtet, durch Anwendung der alten hinduistischen Lebensregeln mit mannigfachen Riten und Opferzeremonien
einen Ausgleich zwischen den entgegengesetzten Kräften von Gut und Böse herbeizuführen, um so zu einem friedlichen Dasein in Glück und Zufriedenheit zu gelangen.
nsgesamt kristallisieren sich vor diesem Hintergrund verschiedene große Daseinsbereiche
heraus, die für die Balinesen Antrieb und Verpflichtung zu mehr oder weniger aufwendigen Festen und Ritualen sind: Die Verehrung der Götter, die Besänftigung der Dämonen und
Geister, der Ablauf der verschiedenen Lebensphasen, der Toten- und Ahnenkult sowie sonstige, im Ritualkalender fest verankerte religiöse und weltliche Anlässe und Pflichten.
VEREHRUNG DER GÖTTER
rsprung religiöser Vorstellungen war in Bali, wie auch in anderen Weltregionen, der
Animismus, der Glaube an die Beseeltheit der Natur und, daraus hervorgehend, an eine kosmische Ordnung, deren Naturkräfte als göttliche Machtbereiche respektiert und verehrt
wurden. Im Verständnis speziell der Balinesen von dieser kosmischen Ordnung wirken dabei den guten Göttern und Geistern im Rahmen einer großen Ausgewogenheit zerstörerische Kräfte,
böse Geister und Dämonen entgegen. Sie bedrohen das Leben der Menschen, die inmitten dieser Kräftepaarung stehen, auf vielerlei Weise.
m sich dagegen zu wappnen und einen Ausgleich der Kräfte zu fördern, haben sich daraus in Bali die Urrituale der Reinigung und Opferung entwickelt, die
den Menschen von bösen Einflüssen und Bindungen befreien sollen. Zum einen sollen sie eine symbolische Reinheit und damit eine gewisse Souveränität des Menschen herstellen, bevor er den Göttern oder auch
den Dämonen entgegentreten kann. Bei allen Kulthandlungen des Bali-Hinduismus hat daher das reinigende heilige Wasser „Tirta“ eine überaus wichtige Funktion. Neben der Reinigung mit heiligem
Wasser sind es vor allem Opferzeremonien, die dem religiösen Ritual der Balinesen das besondere Gepräge geben. Zu den Festen werden von den Frauen hohe
Türme und andere kunstvolle Gebilde aus Reiskuchen und Früchten als Opfergaben erstellt. Sie sollen die Götter erfreuen und den Tempel schmücken, um danach von den Menschen verzehrt
zu werden, Befriedigung und Genuss für alle Beteiligten.
ie Balinesen sind tiefgläubige Menschen, die ihre religiösen Pflichten gegenüber den
Göttern mit großer Hingabe erfüllen. Dabei kommt als spezielle Ausdrucksform des Bali- Hinduismus der Verehrung von Sanghyang Widi (Höchstes Licht), einer als abstrakt
empfundenen Übergottheit, die größte Bedeutung zu. In dieser, im Stammland des Hinduismus Indien weitgehend unbekannten Göttergestalt sind in
der Vorstellung der Balinesen alle Gottheiten zu einer höchsten Einheit, dem Ursprung allen Seins, vereint. Er wird dargestellt als männliche Symbolfigur, aus
deren Körper Flammen schlagen und findet sich in vielen Tempeln und auf magischen Amuletten. Obwohl Zeremonien und Gebete fast nie direkt an ihn gerichtet sind, steht Sanghyang Widi letztlich hinter
allem. Als solcher thront er auch über dem vielköpfigen Olymp der Hindugötter, in dem Shiva als Zerstörer und Erneuerer, Brahma als Weltenschöpfer und Vishnu als Weltenerhalter den höchsten Rang
einnehmen. In dieser Dreiheit (Trimurti) wird wiederum Shiva als machtvollste Gottheit verehrt, als dessen Sitz und gleichzeitig Mittelpunkt des balinesischen
Universums der Gipfel des großen Vulkans Gunung Agung gilt.
n dem vielschichtigen kosmischen System um diese zentralen Götter dürfen auch die ihnen
zugeordneten weiblichen Gottheiten nicht fehlen. Wir kennen dies auch aus dem Hinduismus Indiens als Erbe der alten religiösen Traditionen, speziell des Tantrismus. Bei Shiva sind es zwei
sehr gegensätzliche Partnerinnen, die ihm zugeordnet sind. Einmal die gefürchtete Durga, auch in Bali die Göttin des Todes und der Bestrafung sowie die Urmutter der Hexen. Eine von ihnen,
Rangda, nimmt als Verkörperung des Bösen in der balinesischen Mythologie einen zentralen Platz ein und tritt in dieser Eigenschaft in vielen Legenden und Dramen auf. Den Gegenpart zu
Durga bildet die lichte Schönheit der Dewi Uma als Symbolgestalt der Liebe und Belohnung guter Taten.
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