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ottesverehrung und religiöse Inbrunst, spirituelle Hingabe an eine Gottheit oder Gottesvorstellung
kann sehr unterschiedliche Ausdrucksformen annehmen. So nehmen z.B. Gläubige aller großen Religionen beschwerliche und entbehrungsreiche Pilgerfahrten auf sich, um religiöse Verdienste zu erwerben oder
göttlichen Beistand zu erbitten. Islamische Suffis versetzen sich tanzend in religiöse Extase, um ihrem Gott
nahe zu sein. Buddhistische Mönche versinken in tiefe Meditation, um dadurch ihrem Vorbild Buddha auf dem Weg der Erkenntnis und Erleuchtung nachzueifern. Weit verbreitet ist schließlich der Kult der
Selbstkasteiung, mit dem sich die Gläubigen ihrer Gottheit gegenüber ehrerbietig oder bußfertig erweisen wollen. in besonders extremes, zugleich höchst eindrucksvolles und
bildgewaltiges Beispiel dieser Art der Gottesverehrung bietet das Thaipusam- Fest der Tamilen an den Batu-Höhlen am Rande der malaysischen
Hauptstadt Kuala Lumpur. Der Ursprung des Festes liegt in Südindien im Stammland der Tamilen. Dort wird es auch heute noch, etwa in Palani (Tamil
Nadu), mit großer Inbrunst gefeiert, aber inzwischen weniger exzessiv als hier in Malaysia. Die Vorfahren der malaysischen Tamilen wurden einst von
den weißen Kolonialherren als Plantagenarbeiter aus Südindien ins Land geholt. Wenn sie heute ihr Thaipusam-Fest feiern, versenken sie sich auch
in die mystische Welt der alten “Mutter Indien”. chon der spektakuläre Schauplatz des Festgeschehens mit den
hochaufragenden, von Dschungelvegetation überwucherten Kalkfelsen wirkt auf die Gläubigen ehrfurchtgebietend. Zu ihren Füßen erhebt sich eine
goldfarbene Riesenstatue von Gott Murugan/Subramaniam mit seinem Speer, dem „Vel“ in der Hand. Von hier führt ein imposanter Treppenaufgang fast
dreihundert Stufen steil aufwärts zu einer grottenartigen Öffnung im Felsen. Dahinter beginnt ein gewaltiges Höhlensystem mit einem verehrten Heiligtum von Gott Murugan/Subramaniam, zu dem es die
Pilger hinzieht. hm, der hinduistischen Gottheit Murugan/Subramaniam (auch Skanda genannt), einem Sohn von
Shiva und Parvati, ist Thaipusam gewidmet, mit dem die indischen Tamilen in Malaysia ihr höchstes und größtes Fest feiern, das jedes Jahr mehr als eine Million Gläubige anzieht. Es erinnert an eine
mythologische Begebenheit, nach der Parvati einst ihrem Sohn den magischen Speer, den „Vel“, übergeben hatte. Dieser machte Murugan/Subramaniam fortan unbesiegbar, und so gelang es ihm, den
furchterregenden Dämon Tharakasuram zu töten, der Götter und Menschen terrorisierte. Zum Dank dafür feiern und verehren die Gläubigen ihren göttlichen Krieger mit dem Thaipusam-Fest und seine magische
Waffe, der Vel ist das alles beherrschende Symbol. ie drei Tage dauernden Festlichkeiten beginnen am Sri Maha Mariamman Tempel in Kuala Lumpur, wo ein geheiligtes Idol von Gott Murugan das Jahr über verweilt. Zum Fest wird es nach einem rituellen Bad prunkvoll dekoriert
und auf einen imposanten silbernen Tempelwagen gesetzt. Von Ochsen gezogen macht er sich frühmorgens, umringt von einem Pulk verzückter Gläubiger, auf den schwierigen und langen Weg
zu den Batu-Höhlen. Dichtgedrängt stehen die Menschen an den Straßen, werfen Kokosnüsse auf den Fahrweg und immer wieder wird der Tempelwagen von Gläubigen in religiösem
Taumel angehalten, die der Gottheit Gebete und Opfergaben darbringen wollen. Ziel der Reise von Gott Murugan ist ein Tempelschrein im Inneren der gewaltigen Batu-Höhlen, wo er
nun die Ehrerbietungen der Gläubigen entgegennehmen wird. Jetzt kann das eigentliche Spektakel des Thaipusam-Festes beginnen. er von Tempelgebäuden umrahmte Festplatz am Fuße der Felswand hat sich inzwischen in einen
brodelnden Hexenkessel mit Abertausenden von Menschen verwandelt. Überall drängen und schieben sich braune Leiber, dazwischen die buntleuchtenden Saris der Hindu-Frauen. Die Schreie und Gesänge der
Gläubigen, die dumpfen Trommelschläge und durchdringenden Flötenklänge von Musikern, das alles verschmilzt zu einem ohrenbetäubenden, berauschenden Klangbrei. Schon seit dem frühen Morgen ziehen
die Pilger in Scharen zum Ufer des nahen Flusses, um sich in dem schlammigen Wasser, oder symbolisch
unter Duschen, rituell zu reinigen. Von Priestern werden sie mit Beschwörungsformeln in Trance versetzt.
Dann setzt sich die pulsierende Menschenmasse in Bewegung und ergießt sich über den Treppenaufgang in den Schlund der Höhle zum Heiligtum von Murugan. iele der mit Blüten bekränzten Pilger tragen geschmückte
Gefäße mit Opfergaben von Milch und Blumen, die sie Murugan im Gebet widmen. Andere verspüren eine stärkere Passion, eine innere göttliche Kraft, die sie voran treibt. Ihre Gesichter wirken weltfern
entrückt, Zunge und Wangen sind von kleinen silbernen Spießen, ein Symbol des Vel, durchbohrt. Grotesk verzerrte Gesichter, mit rotem Pulver markiert, ziehen vorüber, die Wangen von großen, bis
zu einem Meter langen Vel-Spießen durchstochen. Die Formen der Selbstkasteiung sind grenzenlos. Der Körper mancher Pilger ist von Haken durchstochen, an denen Zitronen oder Orangen hängen,
andere schleifen an großen Haken in ihrem Rücken Begleiter hinter sich her, die mit aller Kraft nach rückwärts ziehen. Aus klaffenden
Wunden fließt trotzdem kein Blut. Auch viele Frauen unterschiedlichen Alters haben sich dem Leidenszug religiöser Ekstase angeschlossen, Lippen und Wangen durchstochen, die Haare aufgelöst, rauschhaft
entrückt mit den Augen rollend. So wollen sie alle vor Murugan treten, um sich ihm hingebungsvoll und bußfertig zu zeigen. chreie religiöser Verzückung richten den Blick des Besuchers
auf Gruppen von Angehörigen, die „Kavadi-Träger“ auf ihrem Opfergang in die Höhle begleiten. Sie vor allem sind die Helden des Thaipusam-Festes und ihre Teilnahme verbinden sie mit einem ganz
besonderen Anliegen. Sie wollen ihrem Gott danken, daß er ihnen in einer schwierigen Lebenssituation beigestanden hat. Sie haben sich an Murugan, den Sohn des furchtbaren Zerstörers und ewigen
Schöpfers Shiva gewand, und er hat ihnen geholfen, eine Notsituation zu überwinden oder ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Jetzt sind sie hier, um ein entsprechendes Dankgelübde zu erfüllen.
Andere wollen für Verfehlungen in der Vergangenheit Buße tun. Dafür sind alle bereit, eine wahre Leidenstour auf sich zu nehmen,
um Gott Murugan zu huldigen. Wochenlang haben sie sich darauf mit Fasten, Beten und Meditieren vorbereitet und dadurch Körper und Geist gereinigt. ür ihren großen Auftritt werden sie von Priestern in Trance versetzt, manchen gelingt dies auch durch
Autosuggestion. Auf ihrem Rücken tragen sie sog. „Kavadis“, d. h. sinngemäß Bürde oder Last, und es ist
wirklich eine fast übermenschliche Last, die sie auf sich nehmen. Es sind schwere und hochaufragende metallene Gestelle, die mit vielen Spitzen schmerzhaft auf Brust, Kopf, Schulter und Rücken drücken. Mit Ketten und silbernen Haken wird der Kavadi am Körper verankert, ein metallener Bauchgurt gibt im zusätzlich Halt. Die Kavadis sind prunkvoll
geschmückt mit Bildnissen von Murugan, Blumen und vor allem Pfauenfedern. Sie sind ein Attribut von Murugan, der nach der Mythologie
auf Pfauen durch die hinduistische Götterwelt reitet. Zusätzlich haben die Männer Vel-Spieße durch Zungen und Wangen gesteckt, an vielen Stellen
sind Haken durch die Haut getrieben. Dennoch fließt auch hier kein Blut, ein Phänomen, vor dem westliche Besucher ratlos stehen. Wie in einem
Traumbild aus einer fremden mystischen Welt schleppen sich Tausende von Kavadi-Trägern durch die Zuschauermenge. Erdrückt unter der Last und
den Qualen der Tortur kämpfen sie sich taumelnd und tanzend weiter die Treppe zur Höhle empor. Die Anfeuerungsrufe „Vel! Vel!“ ihrer Begleiter
nehmen sie nur noch aus der Ferne wahr, dennoch peitscht es sie trotz der Erschöpfung voran. Ihr Vertrauen auf Gott Murugan gibt ihnen die Kraft, dies alles zu ertragen und den
Schmerz zu besiegen. Viele Zuschauer wenden sich angesichts der Trance-Torturen ab, sie können den Anblick nicht länger ertragen. Andere starren wie gebannt auf die
Szenerie, fasziniert von der Macht dieses Glaubens. ndlos lang zieht sich der Weg für die Pilger durch die riesigen
Tropfsteingewölbe, bis sie unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte endlich am Ziel vor Gott Murugan stehen. Starr und steinern thront er in seinem Schrein im
Felsendom, ungerührt von den Opfern an Willen, Leiden und Hoffen. Dreimal umrunden die Gläubigen im Höhlenlabyrinth den Schrein, um ihre Gebete an
Murugan zu richten. Dann läßt die Wirkung der Trance langsam nach und die Priester ziehen mit einem schnellen Ruck die Sperre und Haken aus den
Körpern. Heilige Asche aus verbranntem Kuhdung wird auf die Wunden geschmiert und mit einem festen Druck auf die Nasenwurzel kehren die Pilger aus der Trance in die
Wirklichkeit zurück. Die Wunden heilen schnell und narbenlos, die Speere und Haken werden keinerlei Spuren hinterlassen. Am Morgen des dritten Tages verläßt Murugan wieder seinen Schrein in der Höhle und
kehrt in einer prunkvollen Prozession auf seinem Festwagen begleitet von Tausenden Gläubigen in seinen Haustempel in Kuala Lumpur zurück. bseits des religiösen Massenrausches wogt ein buntes
Volksfest mit kirmeshaftem Treiben und mehr als einer Million Menschen. Inderinnen in traditionellen farbenfreudigen Saris mit Blumenschmuck im ölglänzenden Haar mischen sich mit Frauen im
modernen westlichen Outfit. Am Fuße des Grottenberges haben sich Großfamilien zum Picknick niedergelassen. Alte Menschen suchen im Schatten von Jahrmarktsbuden Schutz vor der
Mittagssonne. Für einige von ihnen erfüllt sich an diesem Tag das Diesseits. Auch der Tod ist Teil der Lebensfülle von Thaipusam, ebenso wie die Geburt von neuem Leben im Angesicht der Götter. haipusam an den Batu-Höhlen von Kuala Lumpur gehört zweifellos zu den stärksten und
eindringlichsten Festerlebnissen, denen der Reisende teilhaftig werden kann. Ein mystisches, für westliche
Denkweisen kaum erklärliches Schauspiel kraftvollen, unerschütterlichen Glaubens und bedingungsloser religiöser Hingabe, das jeden Besucher tief beeindruckt zurückläßt. Ähnlich eindrucksvolle Thaipusam-
Feierlichkeiten gibt es zeitgleich in Singapur und Georgetown auf der Insel Penang. Die nächste Gelegenheit zum Besuch von Thaipusam und anderer Feste finden Sie auf unseren Terminseiten unter den Fest-
Terminen von Malaysia .
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Für die Überlassung von Bildern zum Thaipusam-Fest danken wir Miguel Cruz, http://travel.u.nu
und Jason Chue, http://www.pbase.com/jchue/thaipusam_at_batu_caves_2006
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